„Wald-Rendite für die Gesellschaft anerkennen“

(Berlin/Kassel) Die Wälder in Deutschland und Europa stehen angesichts des Klimawandels vor gewaltigen Problemen. Gleichzeitig entdeckten während der Corona-Pandemie immer mehr Menschen die positiven Wirkungen eines Aufenthaltes im Wald. Zeitweise wurden die Wälder von den vielen Menschen regelrecht überflutet. Daher ist es höchste Zeit, dass der Wald auch als unverzichtbarer Erholungsraum stärker in den Blick gerät. Das fordern der Deutsche Wanderverband (DWV) und der Bund Deutscher Forstleute (BDF) gemeinsam anlässlich des Internationalen Tages des Waldes am 21. März.

Wandern ist gesund und fördert den sozialen Zusammenhalt. Das belegen mehrere Studien. Zuletzt hat Professor Tobias Erhardt, Studiengangsleiter für Physiotherapie an der SRH Hochschule für Gesundheit in Karlsruhe, nachgewiesen, dass etwa das Gesundheitswandern des Deutschen Wanderverbandes, bei dem Wanderungen unterbrochen sind von kurzen Pausen mit einfachen physiotherapeutischen Übungen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenso senkt wie den Blutzuckerwert. Zugleich nehmen Kraft, Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit zu. Dazu verbessert sich das seelische Befinden. DWV-Präsident und Arzt Dr. med. Hans-Ulrich Rauchfuß: „Von diesen Effekten profitieren angesichts der Corona-Einschränkungen gerade sehr viele Menschen und der Boom wird nach Corona anhalten.“


„Die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit sind bereits ab einem 20-minütigen Waldaufenthalt messbar“, ergänzt Forstgewerkschaftsvorsitzender Ulrich Dohle. Daher hätten die vielen Menschen, die alleine, in Kleingruppen oder als Familie während der Corona-Pandemie die Wälder besuchten intuitiv das Richtige für ihr Wohlbefinden getan. Allerdings sei an vielen Stellen die Aufnahmekapazität von Waldparkplätzen und Wäldern, gerade auch in Schutzgebieten, überschritten worden.


Das Fundament für die Erholung im Wald ist in Gefahr – die Wälder selbst. Nur ein Fünftel aller Waldbäume haben laut Waldzustandsbericht 2020 eine intakte Krone. BDF-Vorsitzender Ulrich Dohle: „Ursachen sind Hitze und Trockenheit. Das schwächt die Bäume und macht sie anfällig für Schäden zum Beispiel durch den Borkenkäfer.“ Mit dem Klimawandel nähmen die Probleme künftig noch zu und zugleich steige der Besucherdruck. Der BDF-Vorsitzende fordert deswegen, den Wald stärker als Erholungsraum zu sehen. Die Forstwirtschaft dürfe ihr Handeln nicht alleine an der Rendite aus dem Holzverkauf orientieren. Stärker als bislang müsse die Rendite für die Gesellschaft in den Blick geraten. „Beim nötigen Waldumbau müssen wir Erholung und damit gesundheitliche sowie soziale Effekte aber auch die Waldästhetik stärker mitdenken“, so Dohle. Daraus leitet der BDF ab, auch verstärkt in Infrastruktur, Umweltbildungsaspekte und vor allem in das Management der Erholung im Wald zu investieren. Dafür seien mehr Förster*innen, Forstwirt*innen, Waldpädagog*innen und Waldranger*innen nötig. „Damit die Freizeitnutzung des Waldes naturverträglich stattfindet, muss diese durch Fachleute professionell gemanagt werden“, fordert Dohle. Aber auch die bisher rein forstwirtschaftlichen Förderprogramme sollten auf die Ansprüche der Walderholung erweitert werden. Waldvermehrung etwa in Form von Grüngürteln in Ballungsräumen und Konzepte für die Bewirtschaftung und Gestaltung der Erholungs- und Tourismuswälder seien vermehrt nötig, wie der aktuelle Run auf die Wälder zeige.

Auf die Entwicklung konsistenter Erholungskonzepte für das Wandern im Wald setzt auch der DWV-Präsident. „Dazu gehört, naturnahe Pfade und unbefestigte Waldwege unbedingt zu erhalten“, so Rauchfuß. Auf der anderen Seite seien hier die Angebote der DWV-Wanderführer*innen® an die Bevölkerung bedeutsam, weil sie nicht nur regionale Identität stärkten sondern auch für die Natur sensibilisierten. Rauchfuß: „Angesichts des Klimawandels und des Verlusts der Artenvielfalt ist dies kaum hoch genug einzuschätzen. Neben der Stärkung solcher Angebote müsse die Zuständigkeit für Erholung im Wald bundesweit künftig gebündelt werden, damit einheitliche Lösungen abgestimmt und Doppelarbeit vermieden werden könnten. Als Koordinierungsstelle „Wandern“ hält der Präsident den DWV für die richtige Wahl: „Mehr als 130 Jahre Erfahrung mit dem Thema qualifizieren den Verband. Er ist genau der Richtige für eine solche Aufgabe.“ Rauchfuß kritisiert außerdem, dass es weder auf Bundes- noch auf Länderebene eine eindeutige institutionelle Zuständigkeit für naturnahe Erholung gebe. „Das muss sich angesichts der gewaltigen Aufgaben, die künftig kommen, unbedingt ändern“, so der DWV-Präsident, „Wir brauchen ein zuständiges Ministerium als Ansprechpartner.“ Wichtig sei auch, dass Politik und Verwaltung endlich zur Kenntnis nähmen, dass die Ehrenamtlichen in den Wandervereinen die Arbeiten etwa hinsichtlich der Wanderinfrastruktur ohne öffentliche Hilfen nicht mehr stemmen könnten. „Hier brauchen wir eine verlässliche Förderung, das kann keine freiwillige Aufgabe sein“, so Rauchfuß. Nötig sei eine durchgängige und dauerhafte institutionelle Förderung von Bund, Ländern und Kommunen für den DWV und seine Landesstrukturen.


Ein Beispiel aus der Praxis: der Harz


Wie sehr die Probleme drängen, ist in vielen Regionen Deutschlands sichtbar. Zum Beispiel im Harz. Das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands verzeichnet einen verheerenden Verlust alter Nadelwälder. Auf riesigen Flächen sind Fichten Stürmen, der Trockenheit und dem Borkenkäferbefall zum Opfer gefallen, auch Buchen und Eichen sind vielerorts gravierend geschädigt. Der Harzklub, ein regionaler Heimat-, Wander- und Naturschutzbund mit rund 13.000 Mitgliedern, richtet sich deswegen mit der Resolution „Der Harz(er) Wald geht nicht ohne uns“ an Politik sowie regionale und kommunale Entscheidungsträger. Die Resolution enthält fünf Haupt-Forderungen: So soll ein Waldschadensfonds Waldbesitzern schnelle Hilfe zum Beispiel für Aufforstungen gewähren. Auch die Gemeinwohlleistungen des Waldes sollten honoriert werden. Harzklub-Präsident Dr. Oliver Junk: „Zugleich wollen wir als Harzklub Waldbauprogramme unterstützen, die stabile und artenreiche Mischwälder entwickeln. Dabei setzen wir auf länderübergreifende Abstimmung.“ Außerdem setzt sich der Harzklub dafür ein, dass Rechtssicherheit für Waldbesitzer in Fragen der Verkehrssicherheit hergestellt wird. Viertens soll die Leistungsfähigkeit der Harzer Wälder gewährleistet bleiben und zwar hinsichtlich der Erholungsfunktion, seiner Vielfalt an Lebensräumen und einer nachhaltigen Holzproduktion. „Der Harz kann mehr zum Klimaschutz beitragen, wenn leistungsstärkere Baumarten mehr Kohlendioxid binden“, so Junk. Die fünfte Forderung ruft nach einem länderübergreifenden Krisenstab, der diese und weitere Aufgaben koordiniert.


Hintergrund - 1,5 Milliarden Waldbesuche vor Corona


Zum Internationalen Jahr der Wälder im Jahr 2011 stellte das Bundeslandwirtschaftsministerium über Umfragen fest, dass jährlich 1,5 Milliarden Waldbesuche stattfinden. Auch bei der Auswahl des Urlaubszieles spielen Waldgebiete nach einer Umfrage des Bundesumweltministeriums für die Hälfte der Bevölkerung eine bedeutende Rolle.


Während der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Waldbesuche verdoppelt bis verdreifacht. Im Bonner Kottenforst wurde beispielsweise eine Zunahme der Waldbesucher um 140 Prozent festgestellt. Hochgerechnet auf die Bundesrepublik wären das 3,6 Milliarden Waldbesuche im Jahr. Jeder Deutsche wäre danach statistisch während der Corona-Pandemie über 40 Mal im Wald gewesen. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Waldbesuche auch nach Corona auf einem hohen Niveau bleiben, vor allem in den Ballungsräumen und in bekannten und schönen Wäldern. Die Deutschen haben die guten Wirkungen des Waldes neu entdeckt und das ist auch gut so!“ resümiert BDF-Vorsitzender Ulrich Dohle.

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