Wahrnehmung klimabedingter Waldveränderungen

Seit 2018 haben heiße Sommer, anhaltende Dürre, Borkenkäfer und Stürme die Wälder in Deutschland unübersehbar verändert. In verschiedenen Teilen des Landes haben sich gewohnte Landschafts- und Waldbilder in kurzer Zeit großflächig verändert, so z.B. im Westerwald in Rheinland-Pfalz, in der Rheinebene in Baden-Württemberg, oder im Sauerland und Harz in Nordrhein-Westfalen. Mancherorts ist der Wald gar nicht mehr als solcher erkennbar. Diese Veränderungen bleiben Waldbesuchenden nicht verborgen.

Klimawandel im Wald wird sichtbar

Für viele Menschen ist die Klimakrise ein schwer greifbares Phänomen. Mit dem aktuellen Waldsterben zeigt die Klimakrise sich allerdings recht plötzlich in einem Naturraum, zu dem starke emotionale Beziehungen bestehen. Was also löst die Wald-Klima-Krise vor diesem Hintergrund bei Bürger*innen und Förster*innen aus? Dieser Frage widmete sich zwischen 2021 und 2024 ein Projekt im Auftrag der für Wald zuständigen Ministerien in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA).

 

Die Ergebnisse zeigen, dass die Waldveränderungen seit 2018 sowohl bei Forstleuten als auch bei Bürger*innen eine große Betroffenheit auslösen. Die Wahrnehmung der Waldveränderungen ist dabei eingebettet in die jeweilige Lebenswelt der Menschen.

Durch den Klimawandel sind Käfer- und Sturmholz sowie Kahlflächen aus dem Wald nicht mehr wegzudenken
Durch den Klimawandel sind Käfer- und Sturmholz sowie Kahlflächen aus dem Wald nicht mehr wegzudenken © Deutscher Wanderverband, A. Bauer

Klimawandel aus Sicht der Bürger*innen

Bürger*innen verknüpfen die Wald-Klima-Krise ganz selbstverständlich mit verschiedenen Bezugspunkten aus ihrer eigenen Lebenswelt und mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskursen, die auch über den Waldrand hinausreichen. Der Wald wird in gewissem Maße zur Projektionsfläche, an der Themen wie die Biodiversitätskrise, Ressourcennutzung, Globalisierung u.v.m. diskutiert werden. Aus dieser Perspektive werden Forderungen an den lokalen Wald und die Waldbewirtschaftenden gestellt.

 

Klimawandel aus Sicht der Förster*innen

Auch Forstleute blicken durch die "Brille" ihrer (professionellen) Lebenswelt auf die klimabedingten Veränderungen der Wälder, wobei die Wald-Klima-Krise zentrale Bestandteile dieser Lebenswelt in Frage stellt. Dazu zählt insbesondere die Bedeutung forstlichen Erfahrungswissens für die Forstpraxis, sowie die Annahme einer grundsätzlichen Planbarkeit und gezielter Gestaltbarkeit von Waldentwicklung. Forstleute erleben sich oft als "Einzelkämpfer*in" in einer mehrjährigen Krisensituation, die mit Gefühlen von Überlastung und Unsicherheit einhergeht. Hinzu kommt die Wahrnehmung, zunehmender, gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt zu sein. Das Gefühl, aus zwei Richtungen gleichzeitig bedrängt zu werden (von der eskalierenden Klimakrise und einer zunehmend forstkritischen Gesellschaft) erzeugt vielfach eine defensive Haltung und einer nahezu permanenten Antizipation von Kritik an forstlichem Handeln.

 

Systemkritik trotz geteilter Sorge

Aufgrund dieser unterschiedlichen "Lebenswelt-Brillen" führt eine geteilte Sorge um den Wald nicht unbedingt zu ähnlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf Ursachen und Handlungsoptionen. Einen besonderen Triggerpunkt stellt die ökonomische Betrachtung und Nutzung von Natur bzw. Wald dar. Der Umgang mit natürlichen Ressourcen allgemein wird von Bürger*innen als zu intensiv und zu sehr an ökonomischen Zielen ausgerichtet kritisiert. Kritik an Waldwirtschaft wird daher als Systemkritik geäußert – sie bezieht sich also nicht nur auf den Wald oder auf Forstleute, sondern auf Bereiche die weit über den Waldrand hinausreichen, wie den Umgang mit Natur und Ressourcen allgemein, Globalisierung oder internationalem Handel. 

 

Verhärtete Fronten

Die Forschung zeigt wiederholt, dass Forstleute ein hohes Maß an Vertrauen durch Bürger*innen genießen (Klinger et al. 2021). Dennoch stehen die Forderungen nach weniger forstlichem Management, weniger ökonomischer Betrachtung des Waldes oder komplette Nutzungsaufgabe in Teilen des Waldes, in Konflikt mit zentralen Elementen des forstlichen Selbstverständnisses (Dohm et al. 2024 in Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V., 2024). Die Abwehr von Kritik und von Vorschlägen bzgl. alternativer Waldbewirtschaftungsformen durch Forstleute kann daher als Versuch verstanden werden, das eigene Selbstbild aufrecht zu erhalten – ein zutiefst menschliches Bedürfnis, welches sich auch in anderen Kontexten beobachten lässt (ebd.). Gleichzeitig erschwert diese Verteidigungshaltung den Austausch über die Ausgestaltung von Waldwirtschaft in der Klimakrise mit nicht-forstlichen Akteur*innen.

 

Die scheinbare Unvereinbarkeit sollte nicht über die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Forstleuten und Bürger*innen hinwegtäuschen. Beide Gruppen suchen angesichts großer Verunsicherung und Betroffenheit nach Möglichkeiten, positiv Einfluss zu nehmen. Gleichzeitig können die Auffassungen davon, wie sich dies erreichen ließe, weit auseinandergehen, oder sogar so gegensätzlich sein, dass sich eine Seite für eine Aussetzung der forstlichen Nutzung einsetzt, während die andere mit viel Tatkraft mit dem aktiven Management des Waldes beschäftigt ist. Dabei ist anzumerken, dass repräsentative Befragungen insgesamt wenig Rückhalt für sehr einseitige Bewirtschaftungsformen in der Bevölkerung feststellen – eine komplette Nutzungsaufgabe, ebenso wie eine stark Holzproduktionsorientierte Waldwirtschaft, findet jeweils nur bei sehr kleinen Bevölkerungsgruppen Anklang.

 

Selbstwirksamkeit gegen Ohnmachtsgefühle

Sowohl Bürger*innen als auch Förster*innen sind angesichts der klimabedingten Waldveränderungen mit starken Ohnmachtsgefühlen konfrontiert. In der Folge ist, besonders ausgeprägt bei den Bürger*innen, ein Rückzug in Räume der Selbstwirksamkeit zu beobachten, sei dies der eigene Garten, das Engagement in der Kommunalpolitik, die Teilnahme an Pflanzaktionen oder die Schaffung eines Angebots für Waldführungen. Das tatkräftige Engagement vieler Forstleute in der aktiven Wiederbewaldung kann ebenfalls im Kontext von Ohnmachtsgefühlen und dem Wunsch nach Selbstwirksamkeit verstanden werden. Darüber hinaus positionieren sich sowohl Bürger*innen und Förster*innen als Wissende, die die Problematik im Vergleich zu anderen klarer erkannt haben und über die geeigneten Lösungsvorschläge verfügen. Problematisiert wird die Unkenntnis oder die Nicht-Bereitschaft zu Handeln jeweils bei anderen sozialen Gruppen.

Link:

Webseite zum Projekt „Wahrnehmung klimabedingter Waldveränderungen durch die Bevölkerung“ der Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg

 

Download:

Handreichung „Über Wald ins Ge­spräch kom­men – ge­lin­gen­de Wald­füh­run­gen im Kli­ma­wan­del" (PDF, 1 MB)